Die Anawim

 Eine Kirche von und für die Armen

Es ist ein lieblicher Frühlingsmorgen in der Vancouver Innenstadt.  Die gelben Forsythien blühen und die Rotkehlchen geben lautstark ihre Anwesenheit bekannt. In dieser Frühlingsszene schmiegt sich eine kleine Kirche fast an die Kante des Bürgersteiges.

Ich trete ein in diesen Raum der Anbetung, der nicht mehr als ein paar Dutzend Leute beherbigen kann. Leise rutsche ich in eine Kirchenbank, begrüßt durch die freundlichen Gesichter, um mich herum. Die Priester leiten ihre Mitglieder in den alten Gebeten der weltichen Reise des Sorgenmannes, durch seine Mutter Maria, zu den himmlischen Spähren des Vaters. Der Rhythmus und die Wiederholung des Rosenkranzgebetes wirken auf alle beruhigend. Wie die Menschen  hereinkommen, jung und alt, bewegen sie sich nach vorne, um eine Kerze an den Füßen der Paris Statue von der Hl. Maria zu entzünden, eine Statue, die aus einer anderen Kirche herausgeschmissen worden ist.

Das ist die alt-katholische Gemeinde St. Raphael, eine Gemeinde für Familien und so komplimentiert die Statue von St. Joseph die von der Gesegneten Jungfrau. Man wird ein wenig überrascht, als die sechs elektrischen Altarkerzen, die über die sechs votiven Kerzen aus natürlichen Wachs thronen, angeschaltet werden,

Dann wird auch der Überfluß an Blumen bewußt, die alle künstlich sind. Dies ist eine Gemeinde der Armen, wo Wachskerzen und Blumen ein Luxus sind, den sie sich einfach nicht erlauben können.

Die Stunde ist da, die alte Schelle ertönt und der Bischof mit seinen Priestern, herrlich eingekleidet in ihren liturgischen Gewändern, tritt ein.  Das Eingangslied wird von allen fröhlich und laut gesungen.  Danach erfolgt eine leichte Dusche durch das Taufwassers des Aspergils, gefolgt vom weihräuchern des Altars und der Gemeinde, bis alle von einer Wolke von Gebet und Aroma umgeben sind.

Der Wortgottesdienst wird fortgesetzt mit der Predigt, in der fast alle, die gegenwärtig sind, beteiligt sind.  Es gibt teilnehmendes Schmunzeln und Anmerkungen, und Fragen werden beantwortet.  Auch Bischof und Priester nehmen am Spaß teil.

Während die Babies weinen, spricht der Homilist von der Notwendigkeit wie ein Kind zu werden, indem auf die nahe Verwandtschaft im Aramäischen von Kind (Yalda) und neuer Geburt (Yalid) hinweist.  Eine junge Jüdin in der Gemeinde weist daraufhin, daß es der gleiche Fall im Hebräischen ist. Jede Kirchenbank ist jetzt gepackt voll und Leute stehen am Eingang des Tempels.

Während der Fürbitten und dem Kanon der Messe spielt der Organist leise im Hintergrund, vielleicht wie in apostolischen Zeiten (Kol. 3:16).  Es folgt – seperat gebetet – der große, ausdrucksvolle Solidaritätsakt, das Vaterunser, in den verschiedenen Muttersprachen der Anwesenden: Englisch, französisch, deutsch, hebräisch, italienisch, philipinisch, portugiesisch, spanisch, sri lankisch, und abschließend in Latin, was vom Bischof gesungen wird.  Jeder erfaßt, daß dies wirklich ein Gebetshaus für alle Menschen dieser Erde ist.  Jeder kommt mit Ehrfurcht zum Altar und bekommt die Hostie nach der Intinktur, Babies und Kleinkinder erhalten einen Segen.  Alle spüren die Kraft der Worte “Corpus Christi.”

Zum Abschluß greift der Bischof,  während er den Hirtenstab hält, nach dem Kruzifix über dem Tabernakel, um die Gemeinde und die Welt zu segnen.  Kurze Abkündigungen für die Woche folgen, mit einem herzlichen Willkommen an alle Besucher. Während des Ausgangsliedes bewegen sich der Bischof und seine Priester zum Ausgang.  Die Agape beginnt.  Ein Kirchenmitglied gibt frische Brotlaibe an alle Gottesdienstbesucher.  Es erinnert, jedoch in einer mehr praktischen Art und Weise, an die Prosphora, die am Ende eines orthodoxen Gottesdienstes ausgeteilt wird.

Dieser Ort ist wahrlich ein zeitgenösisches Bethlehem, ein Haus des Brotes, was ermöglicht wird, durch die Güte eines jüdischen Nachbarns. Die Menschen zeigen offen ihre Zuneigung für ihren Bischof und ihre Priester, küssen ihre Hände und heben sie an, um ihre Stirn zu berühren.  Die Gemeinde strömt heraus und verbreitet sich auf dem Bürgersteig und der Straße.  Menschen fotografieren die Priester mit ihren Familien.  Medallien werden gesegnet. Taufen und Hochzeiten werden arrangiert.

In der heutigen Welt ist diese Kirche eine Anomalie. Voll gepackt bis an die Türen, und überfließend mit Menschen allen Alters und aller Herkunft. Sie alle kommen zusammen aus der ganzen Stadt. Sie kommen, um teilzunehmen an den sieben Sakramenten der Kirche, kuliminiert im Fest des Glaubens, der Messe.

Die Priester besuchen sie in ihren Häusern, oder sie sitzen mit ihnen zusammen am Küchentisch im Pfarrhaus.  Zugegebenerweise ist diese Kirche in vielen Arten und Weisen eine Kirche der Armen (Anawim) – ohne einen ausgebildeten Kirchenchor, ohne Gemeindebrief, ohne Kopierer, ohne Computer, ohne Email.  Sie besitzen keinen Gemeindesaal, keine Sonntagsschule, keine Jugendgruppe, keine Frauen- oder Männergruppe. Es ist auch keine Kirche, die es sich erlauben kann, auf jeden weltlichen Trend zu reagieren. Sie sind die Armen.

Sie feiern die Eucharistie, um als Menschen zu überleben, von dem einen Tag des Herrn zum nächsten.  Als die Kinder Gottes haben sie es akzeptiert, daß sie sich nicht den Luxus der Mittelklasse von Gütern und Zeit erlauben können. Die meisten sind einfache Arbeiter, einige arbeitslos, einige im Ruhestand, viele sind neue Immigranten, Staatenlose, Flüchtlinge, die Verletzten und Gebrochenen. Der Missionsauftrag ist für den Nachbarn oder Verwandten nebenan und einfach an die Menschen der Bergpredigt, mit allem, was dieses beinhaltet. Der Menschensohn lehrte uns, daß die Armen und Unglücklichen (Anawim), das Sakrament seiner Gegenwärtigkeit sind, in unserer Mitte.

Wie kann so eine Kirche der Armen (Anawim) überleben, mit der Weltklugheit des 21. Jahrhunderts?  Sie überlebt wegen einer gemeinsam gefühlten Not.  Diese Menschen (Anawim) haben einen gemeinsamen Bund mit Einem, der als einfacher Zimmermann lebte, immer am Rande. In einer Art und Weise merken sie, wie Er, daß sie die Ausgeschlossenen sind von Klasse, Kultur, Land, und Bekenntnis.  In ihrer Einfachheit der Notwendigkeit mußten sie sich abwenden von vielen Ritualen, Richtlinien und Regelungen der Gesellschaft.  Sie sind zusammengefügt von dem „leidenen Diener“ (Jesajah 53), dessen Gebot es ist „einander zu lieben.“  Sie sprechen nicht davon die Innenstadt zu verlassen, denn wohin sollten sie gehen? In der heutigen Familie Gottes erhalten sie mittlerweile für uns alle, den Geist des Frühlings lebendig.

Bischof L. M. McFerran, B.A., L.Th., M.A., Ph.D., R.S.W.

Bischof der altkatholischen Kirche von BC

1927 – 2007 RIP